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Der Gümmeler-Dresscode

Stil? Interessiert Rennradfahrer scheinbar nicht. Aber die Sockenlänge, die muss dann schon ganz genau stimmen...

Neulich habe ich mich etwas vertieft mit der Rennrad-Szene beschäftigt – eine Gruppe von Verkehrsteilnehmern, die mir bisher etwas fremd war, weil ich es doch recht masochistisch finde, sich auf asphaltierten Strassen, am Rande des motorisierten Verkehrs, über Pässe zu quälen. Natürlich kannte ich die «Gümmeler», wie sie sich auch scherzhaft selbst nennen, vom Hörensagen – einer meiner besten Freunde fährt gerne Rennrad und erzählt manchmal davon. Vor einigen Jahren habe ich als Nachmieter einmal die Wohnung eines Ostschweizer Veloprofis übernommen. Als wir den Keller besichtigten, der voller elaborierter Rennräder war, sagte ich absichtlich ahnungslos: «Sie fahren offenbar gerne Velo!» Er zuckte nur mit den Schultern.

Mit Mode und Stil haben die Rennvelo-Freunde meist wenig bis gar nichts am Hut. Klamotten? Nein danke. Interessiert sie nicht. Darüber zu reden ist zwecklos. Die glattrasierten Beine sind scheinbar die einzige Frivolität, die sie sich gönnen. Dafür ist das Material oberwichtig, da sind sie richtige Markenfetischisten. Campagnolo oder Shimano, das ist schon fast eine religiöse Frage.

Und: Das richtige Velo-Trikot, das muss es dann schon sein. Die richtige Farbe, das angesagte Logo, die richtige Armlänge, damit die Bräunungslinie am Bizeps nicht zu tief liegt. Dasselbe bei den Hosen: Das Bein muss immer an derselben Stelle sitzen, sonst kriegt man eine unscharfe Bräunung, und das sieht nicht profimässig aus. Hosen und Shirts von verschiedene nMarken und/oder Teams dürfen nicht vermischt werden. Und die Socken, uiuiui: nur weiss, höchstens sechs Zentimeter über die Knöchel reichend, vielleicht ein Logo – aber niemals Sneakersocken oder gar lange Strümpfe! Natürlich müssen die Socken auf die Farbe der Schuhe abgestimmt sein.

Früher waren Velotrikots knatterbunt, wie verrückte Papageien sassen die Gümmeler auf ihren Sportgeräten. Inzwischen ist das anders: mattschwarz ist im Moment extrem angesagt, auch navy, olive und anthrazit. Also dunkle Farben, am besten auf den (matt lackierten) Rahmen des Rennrads abgestimmt. Vielleicht darf es ein Akzent in Rosa oder Zitronengelb sein, aber am besten ist monochrom. Natürlich kommt es auf die Marken an: mit den Logos der Firma Rapha oder Pas Normal Studios zeigt der ambitionierte Rennvelofreund an, vorne mitzufahren.

Strikt wird auch die Kopfbedeckung gehandhabt. Die richtige «Cap» (ein Stoffmützchen), die man unter dem Helm trägt, ist entscheidend. Die Klappe mit dem Logo kann nach oben oder unten gestellt sein, aber darf niemals nach hinten gedreht werden. Der Helm muss in einem sauberen 90°-Winkel auf dem Kopf sitzen, die Sonnenbrille kommt über die Straps, mit denen der Helm unter dem Kinn gehalten wird.

Dies und mehr ist nachzulesen im «Code of Conduct» des Bloggers «Euro Cyclist», der alle Aspekte des Stylings penibel auflistet – die Verhaltensrichtlinien umfassen mehr als sechzig Punkte. Man lernt dort etwa, dass man auch niemals mit Triathleten fährt, geschweige denn sich mit solchen verabredet. «Wie jede Geheimgesellschaft hat auch die Rennradszene ihren eigenen Dresscode» bestätigt das australische Portal «Sportette», das sich an rennradfahrende Frauen richtet.

Und genau dort liegen meine Hoffnungen für die ultraorthodoxe Szene der Gümmeler: Bei den Frauen. Sie sind in den letzten Jahren in grosser Zahl aufs Rennrad (um)gestiegen und mischen die Szene auf – Marlen Reusser (2023 Gewinnerin der Tour de Suisse und der Baskenland-Rundfahrt) ist ihr Mode- und Sportidol. Sie hat etwas, das man von (männlichen) Veloprofis bisher kaum kannte: Flair und ein grossartiges Lächeln. Und das macht mir Hoffnung! Denn wer lachen kann, auch über sich selbst, der kann auch die Mode an sich ran lassen. Es gibt schliesslich auch ein Leben neben dem Sattel.

Jeroen van Rooijen
Jeroen van Rooijen, 51, ist der bekannteste Stilkritiker und Modejournalist des Landes (NZZ, SRF3 etc.). Er fährt am liebsten Velo, aber auch Auto – und organisiert seit 2011 den jährlichen «Style Ride», eine urbane Lustfahrt für schöne Menschen und Velos.
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