Stil im Verkehr mit Jeroen van Rooijen
Früher dachte ich, dass Menschen, die mit dem Fahrzeug ständig in die Waschanlage fahren, bünzlig und pedantisch seien. Es schien mir uncool und unnötig, seinem Gefährt zu viel Sorge zu tragen und es zu waschen und zu schrubben, als ob es ein edles Rennpferd wäre. Lieber das Fahrzeug leicht verschmutzen, so lebt es sich unbeschwerter. Grundsätzlich meine ich immer noch, dass dies (für mich) die richtige Haltung ist, aber: Ich bin etwas kulanter geworden, was andere Menschen betrifft.
Zwar empfinde ich noch immer ein gewisses Mitleid mit jenen zumeist jungen Männern, die am Wochenende als erstes mit ihrem Auto zur Waschanlage fahren, um es dann fürs Weekend sauber glänzend und staubfrei herzurichten. Sie verbringen Stunden mit dem Polieren der Felgen! Ich denke, es ist irgendwie ein leicht verschobener Fokus, ein nicht lohnenswerter Lebensinhalt, eine Sisyphusarbeit. Aber wer bin ich, so zu urteilen – sollen doch alle das tun, was sie für richtig halten. Schliesslich halten sie damit einen Teil unserer Wirtschaft in Schwung.
Zu meinem Gesinnungswandel hat ein schockierendes Erlebnis beigetragen. Zugetragen hat es sich in der deutschen Hauptstadt Berlin, wo ich anlässlich der Fashion Week den ganzen Tag vom einen Ende der Stadt zum anderen hastete und dabei ab und zu das Angebot annahm, mit anderen Menschen mitzufahren, in deren Privatauto.
Und so stieg ich eines Abends frohgemut in den Kleinwagen der Chefredakteurin einer Kunstzeitschrift, die zum gleichen Termin musste und mir anbot, mich mitzunehmen. Sie warnte mich noch, ihr Auto sei «etwas messy». Dies war eine feine Untertreibung, denn der Wagen war eine veritable Müllhalde, ein fahrender Abfallkübel. Hinter den Vordersitzen hatte sich eine Art weiches Sediment aus alten Zeitungen, verklebten Sandwichpapieren, Kleidungsstücken und anderen nicht mehr eindeutig identifizierbaren Dingen gebildet. Diese Schicht war so hoch, dass man beim Sitzen leicht die Knie anziehen musste, ausserdem roch dieses «Polster» undefinierbar. Ich war froh, dass sich nichts darin bewegte.
Wir gelangten zügig und pannenfrei ans Ziel, aber diese Fahrt ist mir seither nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Weil dieses Auto doch eine gewisse Diskrepanz zum coolen Image der Besitzerin darstellte. So schmutzig und schmuddelig, dachte ich, soll ein Auto nicht sein. Das ist keine gute Visitenkarte. Es geht natürlich noch krasser – in Antwerpen sah ich einmal ein Auto, dessen Fahrer vor lauter Unrat im Auto nicht mehr rechts und hinten zum Fenster raus sehen konnte. Vermutlich lebte er in diesem Wagen.
Es sind solche Erlebnisse, welche den eigenen Kompass etwas neu einstellen. Und so räume ich inzwischen selber an und zu das Auto auf, greife zum Staubsauger und wasche die Fenster von innen und aussen. Danach freut es mich durchaus, wenn die Kiste wieder gut riecht und ich stressfrei jemanden mitnehmen kann. Aussen herum darf der Automat mit seinen rotierenden Walzen die Arbeit machen, Handwäsche ist mir dann doch zu mühsam.
Sehe ich heute irgendwo ein Auto, das arg dreckig ist, so nehme ich ein Papiertaschentuch, wickle es um meinen Zeigefinger und schreibe damit «Bitte waschen!» in den Schmutz. Ich fühle mich dabei ein bisschen als Anwalt des Autos, das selber ja keine Wünsche äussern kann, aber vielleicht doch froh ist, wenn es ab und zu warm duschen darf.