Stil im Verkehr mit Jeroen van Rooijen
Zwei Leitsätze zum Fahren begleiten mich nun schon mein ganzes Leben. Der eine stammt von meinem Fahrlehrer, der mir empfahl, sich stets so durch den Verkehr zu bewegen, als ob man eine Packung roher Eier auf dem Rücksitz habe. Also: vorausschauend fahren, Probleme antizipieren, rechtzeitig abbremsen, keine ruppigen Manöver.
Dieses Prinzip leuchtet mir absolut ein, denn man kann mit dem Gedanken im Kopf zwar durchaus zügig beschleunigen und auch mit dem Verkehr mithalten, aber legt eine gewisse Weitsicht an den Tag. Ich kann diese Technik vorbehaltlos weiterempfehlen. Nur einmal ging es bei mir schief, da hatten wir auf dem Weg zu einer Einladung tatsächlich einen vollen Eierkarton dabei und mussten abrupt abbremsen, die Eier lagen dann teilweise zerbrochen im Fussraum. Es nahmen aber nur die Eier Schaden, immerhin.
Der zweite Leitsatz stammt von einem Lehrer, der mich in Schnitttechnik unterrichtete – dabei geht es um die Konstruktion und das Zeichnen von Schnittmustern für Kleidung. Wenn Herr Wunderli jeweils eine Kurve zeichnete, die an eine Gerade anschloss oder eine gegenläufige Kurve ablöste, dann bückte er sich immer recht flach vor den Tisch und spähte über das Papier, um zu sehen, ob der Verlauf der Kurven stimmig ist.
Auch dieses «Wunderli-Prinzip» habe ich verinnerlicht, sowohl beim Zeichnen von Schnittmustern wie beim Autofahren. Ich versuche immer eine Ideallinie zu finden. Aber nicht so, wie es Rennfahrer auf der Piste tun, nämlich möglichst kurz, sondern möglichst harmonisch. Es geht also nicht darum, immer die knappe Innenkurve zu erwischen, sondern ein Streckenbild zu er-fahren, dass in sich gut aussieht. Ich stelle mir hierzu gerne vor, dass mir eine Kamera folgt, die meine Fahrt aufzeichnet und am Ziel in einen Bilderrahmen fügt. Idealerweise sieht das dann schön aus.
Mir helfen diese beiden Leitsätze im Verkehr. Ich bin nämlich fest davon überzeugt, dass Schönheit und Eleganz nicht nur äusserliche bzw. oberflächliche Elemente des Daseins sind, sondern auch in Handlungen angelegt sein sollten. Selbst im Verkehr gehören diese Faktoren dazu.
Wer gedanklich einen Eierkarton hinter sich liegen hat, fährt rücksichtsvoller, ruhiger und damit entspannter. Davon hat man auch selbst etwas. Und wer nach schönen Kurven sucht, der vermeidet es, anderen den Weg abzuschneiden oder in die Quere zu kommen, denn hastige Korrekturen der Kurve sind nicht nur unschön, sondern je nach Tempo auch gefährlich.
Ich kennen noch einen dritten Leitsatz, doch den finde ich nicht ganz vorbehaltlos gut: man sollte immer so fahren, als ob man die Königin von England auf dem Rücksitz hat. Das stelle ich mir nun nicht immer angenehm vor, denn erstens läge sie inzwischen horizontal da, und zweitens ist es sicher knifflig, so eine winkende alte Dame im Kostüm zu chauffieren. Sie wäre sicher recht kritisch, was mein fahrerisches Feingefühl und meine Kurventechnik betrifft. Auch wenn ich nun schon 35 Jahre an deren Verfeinerung arbeite.