Stil im Verkehr mit Jeroen van Rooijen
Wie sich die Zeiten doch ändern. Vor wenigen Jahrzehnten für einen jungen Menschen noch als unabdingbar, ein eigenes Auto zu besitzen und sich mit diesem Respekt zu verschaffen, so erscheint das Halten eines «Göppels» heute vielen Jungen als unnötiger Ballast. Entsprechend dient es nicht mehr als Distinktionsmittel, um sich von anderen abzuheben. Denn wenn man noch ein Auto fährt, dann wohl eines, das man geliehen hat – und damit zu posieren ist irgendwie unschicklich.
Auch hat sich das Fahrverhalten gründlich verändert. Mit dem Auto einfach so herumzufahren, als Zeitvertrieb, ist heute ein ebenso tief provinzielles Phänomen wie ein aggressiver, provokativer Fahrstil! Man sieht dies nur noch in ländlichen Regionen und Agglomerationen, und wer in der Stadt so fährt, entlarvt sich sofort als Dörfler und Hinterwäldler. Exzessives Beschleunigen, den Motor aufheulen lassen, dicht auffahren, zackige Spurwechsel oder möglichst spätes Abbremsen sind ein sicheres Zeichen dafür, dass ein Pilot aus der Pampa kommt.
Solcherlei Verhalten ist im dichten Verkehr unserer Zeit nicht mehr zeitgemäss. In diesen Zeiten schon gar nicht. Wer giftig fährt, hat nicht verstanden, in welcher Welt wir leben. Stattdessen tut man gut daran, die individuelle Fortbewegung zu einer täglichen Achtsamkeitsübung umzuformen. Man mag dies für verträumten Quatsch halten, aber ich bin fest davon überzeugt: Mit unserem täglichen Verhalten regulieren wir – in bescheidenem Rahmen zwar, aber immerhin! – ein wenig vom Aggressionspotenzial dieser Welt.
Das sollte man auch im Verkehr beherzigen. Egal, ob man mit zwei, drei, vier oder noch mehr Rädern unterwegs ist. Fahren muss eine Form von mobilem Yoga werden. Man ist nicht einfach ein singuläres Individuum, das «gegen» die anderen vorwärts zu kommen versucht, sondern ein Puzzleteil in einem grösseren Ganzen. Wenn dieses im Fluss ist, ist man es selbst auch. Druck, Hektik, Gereiztheit und Hass müssen von einem abfallen, sobald man losfährt. Geschmeidigkeit ist das Ziel. Unnötig zu sagen, dass elektrische Fahrzeuge, die keinen Lärm machen, dieses Ideal begünstigen.
«Du kannst den Pfad nicht beschreiten, solange du nicht selbst der Pfad geworden bist», heisst es im Zen-Buddhismus. Wer die Sache mit dem täglichen Weg zur Arbeit oder Schule so anschaut, der erkennt in dem hin und her vielleicht plötzlich tieferen Sinn. Der ist nicht ein Kämpfer auf glühendem Terrain, sondern Teil eines sich bewegenden Systems. Nur eines der bekannten Yoga-Ziele darf man beim Fahren nicht wörtlich nehmen: Das «In-der-Mitte-ankommen». Denn Menschen, die auf dreispurigen Strassen immer in der Mitte fahren, sind eine Last. Zu diesem Phänomen aber ein anderes Mal!