Unterwegs mit Markus Somm
Seit Corona weg ist, wollen alle nix wie weg
An einem regnerischen Donnerstagmorgen habe ich neulich eine meiner Töchter auf den Flughafen gefahren, es war fünf Uhr, der Flug nach Amsterdam ging um sieben, kurz: der Vater, vor Panik ergriffen, dass sein Kind den Flug verpassen könnte, hatte den Aufbruch viel zu früh angesetzt, was wir beide festzustellen meinten, als wir durch die menschenleere Stadt fuhren. Wenn es je ein Fahrvergnügen im Regen gab, dann heute, wo kein Stau zu erblicken war. Allerdings auch ein unübersehbares Zeichen, dass wir zu früh unterwegs waren. Meinten wir. Umso erstaunter betraten wir den Flughafen, der schon um halb sechs vor Leuten platzte, als wären die Zürcher Sommerferien ausgebrochen. Alles wollte fliegen. Alles hob ab. Beim Check-in stauten sich die Menschen wie eine Welle vor einer Staumauer. Gott sei Dank hatte Klara digital eingecheckt. Gruss und Kuss. Wie immer, wenn ein Kind eine grosse Reise tut, fühlt sich der Abschied an, als würde sie ausziehen – oder für ein Jahr in den Kongo fliegen.
Als ich mich umwandte und durch die Menschenflut zurück zum Auto ruderte, erinnerte ich mich mit einer gewissen Heiterkeit an die vielen klugen Kommentare von klugen Journalisten während der Corona-Zeit, die uns prophezeiten, auch das Fliegen werde nie mehr sein, was es einmal war. Homeoffice forever? Ferien never again? Was für ein Unsinn. Seit Corona vergessen ist, begeben sich die Schweizer wieder in die Luft, als wäre die Swissair eben gegründet worden – und jedermann möchte einmal eine DC-3 ausprobieren. Alle Passagierzahlen, alle Statistiken, alle Flugbewegungen, nicht nur in Kloten, zeigen nach oben. Wenn es den Journalisten je darum gegangen wäre, die Gebrüder Grimm und ihre Erzähltalente zu übertreffen, dann ist es ihnen hier gelungen. Warum haben sie sich so getäuscht?
Ich gebe zu, auch ich werde als Journalist manchmal vom Wunschdenken übertölpelt. Zwar fliegen die meisten Journalisten gern, aber die meisten sind auch besorgt, was die Zukunft des Weltklimas anbelangt, und daher finden sie Fliegen suboptimal, solange es die anderen tun, die nicht Journalisten sind. Je länger Corona dauerte, desto staats- und weltpolitisch klüger erschienen ihre Prognosen, wonach auch das Fliegen sich nie mehr vom Virus aus China erholen würde, was Klimapolitik so famos mit Gesundheitspolitik zu verbinden schien.
Wie so oft machten die Journalisten die Rechnung ohne den Wirt. Und der Wirt heisst: Realismus. Von Mobilität werden die Menschen nie genug bekommen. Auch Klara nicht.