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Bsetzistei 2.0 – Eine Zeitreise von Zürich nach Ascona

Die Fahrt ins Tessin war vor dem Autobahnbau eine anstrengende aber auch abwechslungsreiche Reise, die viele lohnenswerte Pausenstopps bot. Beat Schmitz und Beni Keller haben die alte Route mit einem Käfer unter die Räder genommen. Kommen Sie mit auf diese nostalgische Tour in den Süden.

Beat Schmitz und Beni Keller

Die Palmen am Lago Maggiore und der Duft einer köstlichen Minestrone locken damals wie heute Abertausende über – oder gegenwärtig durch den Gotthard.

Wie aber hat sich dieses «damals» angefühlt und für uns hoffnungslose Nostalgiker noch viel wichtiger; was ist heute noch davon übrig? Was hat unauffällig am Strassenrand überlebt und zeugt noch von dieser abenteurlichen Reisezeit? Um dies herauszufinden, haben wir uns also meinen naturbelassenen Ovali-Käfer von 1953 hergenommen.

Da es möglichst authentisch zu- und hergehen soll auf dieser Expedition in die 50er, entschliesse ich mich für einen Satz Firestone-Reifen aus meinem Fundus. Der Verkäufer der Pneus hatte mir damals sein Pfadfinderehrenwort gegeben, dass diese jahrzehntelang fachgerecht im Humidor neben den ganz teuren Zigarren eingelagert waren, oder so ähnlich… Zeitgenössisches Gepäck? Check! Stilechte Kleidung? Check!

Ölstand gewissenhaft geprüft? Ja, es kann also losgehen!

Kopfsteinpflaster im Sihltal

Schon kurz nach der Abfahrt in Zürich fühlt es sich an, als hätte uns eine Zeitmaschine samt Käfer unsanft auf den Kreisel von Sihlbrugg ausgespuckt, … Holzbrücke? Löwenkäfig? Motel? Schnee von vorgestern. Kurz davor in Sihlwald fanden wir noch einige hundert Meter original Kopfsteinpflaster der alten Sihltalstrasse. Hier jedoch; alles weg. Ausser den Tankstellen. Die sind zwar kaum wiederzuerkennen, aber immerhin.

Nun denn, wir sind ja noch am Anfang der Strecke und beschallen für die richtige Atmosphäre das Käferinnere mit Conny Froebess, während wir nach Baar weiterbrazzeln, im Visier die Ufer des Zugersees. «Pack die Badehose ein»..

Da wir weder Badehose noch kleines Schwesterlein an Bord haben, passieren wir das wunderschöne Altstadttor von Zug und gleiten ohne gebadet zu haben auf der malerischen Uferstrasse nach Arth. Ab hier weist der Strassenname bereits auf unser Unterfangen hin; die Gotthardstrasse. Sie führt uns nach Lauerz, vorbei an der Insel Schwanau nach Seewen.

Um nicht vom Weg abzukommen, müssen wir ironischerweise genau diesen immer wieder verlassen, um auf der alten Strasse zu bleiben. Das erweist sich oftmals als sehr trickreich, denn geschmeidige Umfahrungen locken den Fahrer mit frischem Asphalt geradewegs um die eigentlichen Attraktionen herum. Nicht mit uns; in Seewen erwischen wir rechtzeitig den Abbieger und kurz darauf halten wir am verlassenen Gasthaus «Zum Weissen Kreuz», das etwas trostlos, aber noch immer stolz, sein goldenes Wirtshausschild in die Strasse reckt, um Automobilistinnen auf ihrer Fahrt in den Süden zu einer Rast im schattigen Garten einzuladen. Diese aber sind schon vor Jahrzehnten auf die Autobahn nebenan abgebogen.

Auch wenn dieses Gasthaus erst vor wenigen Jahren aufgegeben wurde, so ist es nur eines von einer ganzen Reihe von verwaisten Restaurants, Tea-Rooms, Hotels, Motels und Garni, die uns bis Ascona an dieser Strecke begegnen werden..

Sternstunde mit Frida Stern in Gurtnellen

Frida Stern
Stern-Stunde: Käfer-Pilot Beat Schmitz trifft Frida Stern.
Sie führt die Tankstelle in Gurtnellen mit bald 90 Jahren seit den Siebzigern.

Ganz und gar nicht verlassen ist hingegen die Tankstelle von Frida Stern in Gurtnellen, obwohl man sich leicht täuschen lassen könnte; die Tanksäulen aus den späten Sechzigern deuten nämlich nicht gerade auf oktanhaltige Aktivitäten hin. Das Kassenhäuschen mit leicht vergilbter Zigarettenwerbung und einem liebenswerten Durcheinander von Quittungen, Plastikblumen und Andenken im Innern ist eine regelrechte Zeitkapsel, aber im Moment ebenso verwaist wie der ganze Platz.

In diesem Moment jedoch tritt eine Frau aus dem Anbau, die sich als Frida Sterns Tochter vorstellt. Selbige nämlich, so erfahren wir, musste wegen eines bösen Fusses in den Spital, käme aber später am Nachmittag zurück. Hmmm… dann werden wir auf dem Rückweg nochmals unser Glück versuchen. Denn Frida Stern ist nun mal nicht irgendeine Tankwärtin, muss man wissen, sondern eine wahre Institution was den einstigen Reiseverkehr auf dieser Strecke betrifft; mit ihren beinahe 90 Jahren ist sie seit Mitte der 70er-Jahre so gut wie jeden Tag an der Tankstelle und hält mit jedem einen netten Schwatz oder erzählt mit etwas Glück auch eine unterhaltsame Anekdote aus ihrem reichhaltigen Geschichtenfundus.

Wir tanken noch artig und setzen dann zur Weiterfahrt nach Andermatt an.

Unter, über und mal links und rechts neben uns immer die Autobahn, auf der sich an diesem Frühsommertag bereits ein veritabler Stau gebildet hat, während wir entspannt mit offenem Schiebedach einsam über die Passstrasse cruisen. Tja, selber schuld, wer sich die ganzen Sehenswürdigkeiten entgehen lässt, aber gut für uns.

Bei James Bond vorbei und hoch auf den Gotthard

Aurora-Tankstelle
Die legendäre Aurora-Tankstelle in Andermatt. 1964 wurde dort eine Szene für den James-Bond-Film «Goldfinger» gedreht.
Copyright-Vermerk rechtes Bild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv

Kleine Fotosession an der Aurora-Tankstelle, leider ohne Sean Connery und der bezaubernden Tania Mallet. Benzin gibt’s auch keins mehr, also weiter.

In den Dörfern, die früher wahrscheinlich beinahe im Reiseverkehr erstickten, lässt es sich heute auch ohne Stau ganz vorzüglich entschleunigen. Wir nehmen uns Zeit für einige Fotos auf den gekappten Abschnitten, bevor wir uns auf der Passhöhe traditionellerweise mit einer Bratwurst verköstigen, während die Leute neugierig unseren tapferen Käfer begutachten.

Die Tremola ist heute ein Genuss

Tremola
Die Tremola ist heute zum Geniessen, 1962 war deutlich mehr los.
Copyright-Vermerk rechtes Bild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv

Zeit für den «Abstieg» über die engen Kehren der berühmten Tremola hinab. Um darüber zu sinnieren, ob es nur unvernünftig oder doch eher völlig bekloppt war, sich mit Diagonalreifen auf die Reise zu begeben, die fast ebenso alt sind wie das Auto, ist es längst zu spät.

Andererseits krallen sich die Tatzen der Firestone-Wildcat so begeistert ins Kopfsteinpflaster der Tremola wie die Hände meines Beifahrers um den nicht vorhandenen Haltegriff. Keinen Grund zur Sorge also!

Von oben herab sieht unser Käfer aus wie ein verirrtes Überbleibsel, der nach seinen Artgenossen sucht. Wahrscheinlich frästen sich über die Jahrzehnte Millionen von Krabblern durch diese Bergschneise..

Im Tessin auf abgelegenen Pfaden

In Gedanken an diese Zeit verweilen wir bei einem stilechten Kaffee und kullern danach wie eine Murmel durch Dutzende Kehren hinab bis in die Piottinoschlucht, vorbei an den noch viel älteren Überresten der Säumerpfade, und nähern uns langsam Biasca. Leider ist aber auf der alten Brücke die noch bis 1970 in den Ort führte keine Durchfahrt mehr möglich.

Auch auf der Südseite ist das Bild dasselbe in den Dörfern; dunkle Schaufenster blicken zu vergilbten Hotelschildern auf der Strassenseite gegenüber. Fluch und Segen der Autobahn liegen allerorten nah beieinander; einerseits endlich Ruhe, jedoch schon fast zu ruhig. Aber; das eine oder andere Dorf nutzte die Gunst, klopfte sich den Feinstaub von den Fensterläden und richtete gemütliche und ansehnliche Cafés oder Pensionen ein, die auf einen Besuch einladen. Uns jedoch rinnt neben den Jahrzehnten auch die ganz reale Echtzeit unter den Rädern weg und so kippen wir in der atmosphärischen Altstadt von Bellinzona nur rasch einen Espresso in den Hals und nehmen die Zielgerade in Angriff.

Grandezza in Locarno, Minigolf in Ascona

Mit offenem Schiebedach durch Locarno…herrlich! Die Seeluft, Palmen und ein Hauch von 50er-Jahre Filmstars in Grandhotels, ehemalige Grandezza und - in Ascona dann einen Stop bei der ältesten (1954) Minigolfanlage der Schweiz. DER Geheimtip schlechthin übrigens...

«Wenn der Vater mit dem Sohne einmal ausgeht…», sang Heinz Rühmann einst im gleichnamigen Film. Nur einen Steinwurf von der Stelle entfernt wo wir unser Nachtessen einnehmen, tuckerte er mit seinem Wohnwagen über die Uferpromenade gen Süden, wohl wissend, dass seine kleine Freiheit nicht ewig dauern würde. Aber genommen hat er sie sich!

«...und dann keiner- gern nach Haus geht!»

Bilder aus der Zeitreise von Zürich nach Ascona

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