Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet (Art. 26 Abs. 1 SVG). Besondere Vorsicht ist geboten, wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird (Art. 26 Abs. 2 SVG).
Daraus wird der Vertrauensgrundsatz abgeleitet, wonach sich ein Strassenbenützer auf das verkehrsgerechte Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer stets so lange verlassen darf, als er nicht sieht oder bei genügender Aufmerksamkeit sehen könnte, dass sich diese regelwidrig verhalten. Auch der Wartepflichtige darf somit mit der Einhaltung der Verkehrsregeln – wie z.B. eine korrekte Zeichengebung – durch den Vortrittsberechtigten rechnen, sofern nicht besondere Anzeichen dagegen sprechen. Solche Anzeichen eines Fehlverhaltens können sich beispielsweise aus der Unklarheit oder Ungewissheit einer bestimmten Verkehrslage ergeben (BGE 125 IV 83).
Hellseherische Fähigkeiten dürfen vom Verkehrsteilnehmer allerdings nicht erwartet werden. Es sind stets „konkrete, jedem Verkehrsteilnehmer in die Augen springende Anzeichen“ nötig, die das künftige Fehlverhalten mit grosser Wahrscheinlichkeit erwarten lassen. Die Anforderungen an den Fahrzeuglenker dürfen deshalb nach Ansicht des Bundesgerichts „nicht überspitzt“ sein (BGE 103 IV 109).
Wenn keine Anzeichen dafür bestanden, dass der andere Verkehrsteilnehmer trotz des ge-stellten Blinkers geradeaus über die Kreuzung fahren könnte, durften Sie somit darauf vertrauen, dass er nach rechts abbiegen werde. Dies hat das Bundesgericht in einem gleich gelagerten Fall ausdrücklich so festgestellt (BGer 6S.140/2006).
Vorbehältlich besonderer Umstände tragen Sie somit keine Schuld am Unfall. Solche beson-dere Umstände könnten etwa darin liegen, dass die Strecke links von der Einmündung unübersichtlich ist oder dass das andere Auto trotz gestelltem Blinker mit unangepasster Geschwindigkeit weiterfährt. Diesfalls wären Sie vor dem Losfahren zu einem weiteren Kontrollblick verpflichtet.