Man fragt sich als Testfahrer, ob man erst die «User Interaction» testen oder gleich losfahren soll. Wir entscheiden uns für ersteres und stellen fest, dass der Fahrer mit den zwei kleinen Touchpads am Lenkrad bequem durch die Hauptmenus des Bordcomputers scrollen kann. Allerdings mit dem Risiko, sich in den Tiefen der weit verzweigten Untermenüs zu verlieren. Die E-Klasse zeigt sich sehr bedienungsfreundlich, auch für Fahrer, die nicht im digitalen Zeitalter geboren sind: Navigation, Radio, Media und Telefon sind auch über Direktwahltasten erreichbar.
Nebst diesem Arsenal an digitalen Möglichkeiten zeichnet sich die E-Klasse vor allem durch neue Fahrassistenten aus: Zahlreiche Helfer wie ein adaptiver Tempomat mit Verkehrsschildererkennung und automatischer Geschwindigkeitsanpassung sowie ein Abstands-Pilot mit Wiederanfahrfunktion ermöglichen im Stadtverkehr ein fast autonomes Fahrerlebnis. Sehr zuvorkommend, auch wenn die Verkehrsschildererkennung manchmal einen Aussetzer hat.
Nun widmen wir uns den Fahreigenschaften: Die E-Klasse, wie sollte es anders sein, kommt als erste in den Genuss des neuen, hauseigenen Vierzylinder-Diesels. Ein gelungener Wurf: das harmonische Ansprechverhalten des 2-Liter-Motors mit 194 PS überzeugt ebenso wie die perfekte Abstimmung von Motor und 9-Stufen-Automatikgetriebe. Das stets verfügbare Drehmoment lässt den Fahrer den ganzen Drehzahlbereich auskosten. Bei 120 km/h zeigt der Drehzahlmesser gemächliche 1400 U/min an; nicht sehr sportlich, dafür aber dynamisch und langstreckentauglich. Das Geräuschniveau auf der Autobahn erinnert derweil an einen Andachtsraum, wobei sogar der Verbrauch fromm bleibt: Der mittlere Testverbrauch blieb bei 6.2 Liter pro 100 km. Weit entfernt von der Werksangabe, aber für das Gewicht dennoch beeindruckend.
Die 215 kg Mehrgewicht kommen durch die ausschweifende Ausstattung zusammen, Leichtbau hin oder her. Das 4.93 m lange Fahrzeug (+ 4 cm) offenbart eine für seine Grösse angemessene Agilität und Wendigkeit. Die sehr direkte Lenkung und das gesetzte Fahrverhalten runden das Bild ab. Der Fahrer kann zwischen fünf Fahrmodi auswählen und so der E-Klasse im Sportmodus zusätzlichen Schwung verleihen. Die Stossdämpfer arbeiten progressiv und gleichen Unebenheiten auf der Fahrbahn sehr gut aus. Eine gute Fahreigenschaft, die aber durch die 19-Zoll-Runflat-Reifen etwas abgeschwächt wird.
Der kuschelige Innenraum des Autos, verschönert mit Designelementen aus Chrom und Aluminium, widmet sich ganz dem Wohlbefinden des Fahrers. Davon profitieren in erster Linie die vorderen Passagiere, die Ausstattung hinten entspricht eher dem Klassen-Standard. Das liesse sich mit den vielen optionalen Annehmlichkeiten aber problemlos ändern: Die neue E-Klasse ist in der Basisversion zwar mit selektiver Dämpfung und LED-Scheinwerfern ausgestattet. Für alles weitere muss der Kunde aber die Optionenliste konsultieren. Alles andere als einfach, bei Gadgets wie 12.3-Zoll-Widescreen, Fahrassistenten wie Drive Pilot oder den neuen Park-Pilot-Funktionen mit Smartphone-Steuerung nicht dem Kaufrausch zu erliegen. Die E-Klasse ist nicht nur ausgefeilt, sondern auch sehr verführerisch.
Text: Marc-Olivier Herren