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12.12.2024

Von Tieren und Traditionen

Der Archipel der Bijagós in Guinea-Bissau ist bei Touristen weitgehend unbekannt. Unter Meeresschildkröten und Flusspferden ist die Inselgruppe umso beliebter.
Guinée
Transporthilfe für eine gestrandete Meeresschildkröte.

Auch die längste Reise kennt beschau­liche Momente. Wenn die Unendlichkeit spürbar wird. Vier Uhr in der Früh, man sitzt im Sand, hört das Meeresrauschen und bewundert den dicht gewobenen Sternenteppich. Viel näher als gewohnt sitzen die Lichtpunkte am Firmament beieinander. Auf Poilão ist der Blick auf die Gestirne ungetrübt durch Kunstlicht. Lediglich einige Taschenlampen werfen mattes Rot auf den Sand. Das irritiert den Sternengucker so wenig wie die Tiere, die aus dem ebenfalls dunklen und ebenso endlos scheinenden Ozean entstiegen sind. Poilão, das südlichste Inselchen des Archipels der Bijagós, ist die bevorzugte Landestelle der grünen Meeresschildkröte, der bedeutendste Brutplatz in Afrika, wie es heisst.

Während wir die Schildkrötenmütter beim «Marsch» am Strand und beim Ausheben der Brutgrube am Tag beobachten, ist der Nachwuchs nächtens ­unterwegs. Etwa zwei Monate nachdem die Eier gelegt wurden, ist es für die kaum Handteller grossen Babys Zeit. Millionen Jahre Evolution hat sie gelehrt, im Schutz der Nacht loszukrabbeln. Denn am Tag warten hungrige Möwen. Samuel und seine Helfer sind in erster Linie für Beobachtungen vor Ort, auch, um ausgewählte Tiere mit ­Ortungschips zu versehen. Ab und zu ­legen die Helfer auch Hand an. Wenn sie sehen, dass einer ansonsten unversehrten Schildkröte die Kraft fehlt, ­tragen sie sie auf einer Bahre ins Meer. Und wenn Samuel den Reisenden entzückt eine Handvoll der Schildkrötenbabys zeigt, setzt er sie in der Nähe des Wassers wieder aus. «Ich liebe Tiere, und ich liebe Schildkröten. Allerdings mag ich nicht, dass die Mütter ihre ­Babys einfach alleinlassen …»

guinée
Etwa sechzig Tage brüten die Eier im Sand, bis die Schildkrötenbabys sich ausbuddeln und ins Meer krabbeln.

So unendlich wie Himmel und Meer scheinen die Mühen der Schildkröten, die auf dem Eiland vor der Küste Afrikas landen, um Eier zu legen und baldmöglichst wieder in ihrem Element abtauchen. An Land raubt jede Bewegung den Panzerechsen Energie. Sie schieben ihre mehrere Hundert Kilos schweren Körper mit grossen Flossen voran, mit denen sie auch tiefe Gruben graben, um ihre Eier sicher zu deponieren. Immer wieder müssen sie ausruhen. Die Präsenz des Menschen scheint sie nicht zu stören. Nur kurz an Land fühlen sie sich im Wasser in ihrem Element, wo sie mit bis zu 24 km/h Kreise um uns Menschen schwimmen und für den Schlaf auch stundenlang die Luft anhalten können.

danse tribale
Tänze zum Trommelwirbel − Feierabendunterhaltung auf den Bijagós

Aus Sicht des Mitteleuropäers ist ­Poilão ein entlegenes Fleckchen Erde. Auf 43 Hektar begegnen sich die zwei zentralen Themen unserer Reise: Traditionen und Bräuche der Urbevölkerung sowie der Schutz der Natur. Poilão ist klein und exklusiv, seit Menschen­gedenken ein Ort der Ureinwohner für den Initiationsritus, den Fanado. Es geht um Naturmedizin und darum, dass sich Jugendliche – das Alter ist nicht festgelegt, die Teilnahme am Fanado ist eher eine Frage der Reife – im Niemandsland gemeinsam und ohne Hilfe von aussen durchschlagen. Danach sind sie die Einzigen, welche die Insel überhaupt betreten dürfen. Grundsätzlich. In der Neuzeit haben Regierungsstellen und Naturschützer mit den Einwohnern der Bijagós ausgehandelt, dass der Aufenthalt Auswärtiger unter Bedingungen möglich ist. Ein paar Hütten in Küstennähe für einige Beobachter durften erstellt werden, während das Innere der Insel tabu bleibt. Auch wir Touristen sind natürlich daran gebunden.

Strandgut und ein Stromschiff

déchets
Strand voller Müll.

Die grüne Meeresschildkröte, Chelonia mydas, gilt als gefährdet. Natürliche Feinde hat sie kaum, von grossen Haien abgesehen. Gleich beim Anlanden auf Poilão wird ersichtlich, wer der eigent­liche Gegner ist. Strandabschnitte sind übersät mit Müll. Alles, was die «Zivi­lisation» hergibt an Unverrottbarem, wurde letzthin angeschwemmt, von Plastikflaschen und -sandalen über Büchsen, Dosen und Schläuchen bis zu weitgehend intakten Töffbauteilen und Autositzen. Die Meeresströmung aus Süden trage dies vom benachbarten Bissau hier zu ihnen, sagt Samuel Ledu Pontes, Amtsältester unter den Helfern auf der Insel und Vertreter des Institute National Biodiversity and Protected Areas (IBAP).

Die Bootsfahrt zurück nach Orango hat etwas Wildes und Einschläferndes zugleich. Der gut motorisierte, metallene Einbau patscht laufend auf kleine Wellen, das Boot tanzt im Takt. Für ­einige Zeit begleitet uns ein Schwarm schwalbenartiger, grauer Winzlinge, die im schwachen Abendlicht mit der ebenfalls grauen Gischt fast verschmelzen. Man wundert sich, wie sie bloss ­ihren frenetischen Flügelschlag über lange Distanz durchhalten.

Zäune für Mensch und Tier

Flusspferde sind Pflanzenfresser. Im Wasser
fressen sie Sumpfpflanzen und ­Algen.
Nächtens weiden sie an Land Gräser,
Knollen und Schilf.

Die Bootsfahrt zurück nach Orango hat etwas Wildes und Einschläferndes zugleich. Der gut motorisierte, metallene Einbau patscht laufend auf kleine Wellen, das Boot tanzt im Takt. Für ­einige Zeit begleitet uns ein Schwarm schwalbenartiger, grauer Winzlinge, die im schwachen Abendlicht mit der ebenfalls grauen Gischt fast verschmelzen. Man wundert sich, wie sie bloss ­ihren frenetischen Flügelschlag über lange Distanz durchhalten.

Traumhaft ist die Lage des Orango ­Parque Hotel. Man übernachtet in einfachen, geräumigen Bungalows aus Lehm und Palmdächern, blickt unter Palmen über den hellen Sandstrand und lässt sich nach wenigen Schritten vom Meerwasser umspülen. Man könnte hier einfach Beine, Geist und Seele baumeln lassen. Doch das nächste Wildtierabenteuer wartet schon. Eine kurze Bootsfahrt entfernt finden wir uns in einer Savannenlandschaft wieder. Doch bald wird der Weg sumpfig. Eine halbe Stunde stapfen wir über Grasnarben und durch Schlammfurten. Auf einer Lichtung steht ein Hochsitz. Der Blick auf die nahen Tümpel ist verheissungsvoll. Nur die erhofften Stars, die Nilpferde, schwän­zen ihren Auftritt. Selbst die Lockrufe des Guides helfen wenig. Doch er hat eine Idee, also stapfen wir weiter. Und plötzlich hören wir es: ein Röhren und Schnauben aus tiefer Kehle. Ganz nah. Unruhe fährt in die Gruppe, schliesslich neigen die Mehrtonner laut Lektüre zum Jähzorn. Leicht eingeschüchtert treten wir aufs offene Feld und sehen sie. Ungerührt dümpeln eine Kuh, ihr Nachwuchs und vermutlich ein männliches Exemplar im bauchhohen Wasser. Der Anblick ist beeindruckend, die «Action» bleibt aber überschaubar. Ab und zu reisst Mama das Maul weit auf. Als Drohgebärde – mit wenigen, aber grossen Zähnen – interpretieren Fachleute die Geste, während die Überlieferung besagt, dass die Flusspferde dem lieben Gott mit offenem Maul zeigen, dass sie keine Fische schnabulieren.

Mehr noch als die Meeresschildkröte gilt das Flusspferd als gefährdete Art. Wie viele von ihnen auf Orango leben, scheint niemand zu wissen. Mehr als ein paar Dutzend dürften es nicht sein, was dennoch genügte, um die Einheimischen zu ärgern. Auf Suche nach Nahrung durchpflügten die Grosssäuger die Reisfelder und gefährdeten die Ernte. Hier setzte die Unterstützung der 2007 gegründeten spanischen Stiftung CBD-Hábitat an. Man errichtete das erwähnte Hotel, schuf Arbeitsplätze und half bei der wirkungsvollen Um­zäunung der Reisfelder. Damit steigt bei den Dorfbewohnern der Goodwill gegenüber den Flusspferden und ermöglich so weiterhin den «Hippo-Tourismus». Die Boote des Hotels übrigens sichern in medizinischen Notfällen die Verbindung zum entfernten Festland.Dorthin, in die Hauptstadt Bissau, kehren wir zurück. Auf dem Bandim-Markt schwirrt einem der Kopf. Als ­Aussenstehender sieht es aus, als ob die eine Hälfte der Bevölkerung Waren anbietet, darunter Millionen von Sandalen, während die andere Hälfte an der Ware vorbeihastet oder -schlendert. Anschliessend tauchen wir hinter den Zäunen des Künstlermarktes ab, wo es dem Laien nicht leicht fällt, zwischen Nippes und authentischem Kunsthandwerk zu unterscheiden. Holzschnitzereien mit Figuren aus mythischen Geschichten wie aus dem Leben in der Natur scheinen zu Letzterem zu gehören.

Strandgut und ein Stromschiff

déchets
Vieles bleibt liegen: Ruinen am Quai. Dahinter ein kleiner Containerterminal.

Dorthin, in die Hauptstadt Bissau, kehren wir zurück. Auf dem Bandim-Markt schwirrt einem der Kopf. Als ­Aussenstehender sieht es aus, als ob die eine Hälfte der Bevölkerung Waren anbietet, darunter Millionen von Sandalen, während die andere Hälfte an der Ware vorbeihastet oder -schlendert. Anschliessend tauchen wir hinter den Zäunen des Künstlermarktes ab, wo es dem Laien nicht leicht fällt, zwischen Nippes und authentischem Kunsthandwerk zu unterscheiden. Holzschnitzereien mit Figuren aus mythischen Geschichten wie aus dem Leben in der Natur scheinen zu Letzterem zu gehören.

Die Altstadt in Hafennähe bröckelt an allen Ecken und Enden. Es wirkt, als ob sich dort seit dem Abzug der portugie­sischen Kolonisten 1974 nur wenig getan hätte. Im einstigen Hafenbecken ­liegen ausrangierte Kähne auf dem Trockenen, vermutlich seit Jahrzehnten. Vor dem Hafen von Bissau erspähen wir hingegen ein modernes Containerschiff unter türkischer Flagge. Die erstaun­liche Erklärung: Das «Karadeniz Power­ship» versorgt mit seinen Generatoren das ganze Land mit Strom.

Diese Reise wurde unterstützt durch Orango Parque Hotel und TAP.

Reportage: Daniel Riesen

Vier Länder mit 
dem Namen Guinea

Wohin genau reist du, nach Guinea ...? Wie noch mehr? Die Verwirrung um das Reiseziel Guinea-Bissau ist verständlich. Nicht nur gehört das kleine Land an der Westküste Afrikas zu den zehn am wenigsten bereisten Ländern weltweit. Der Ländername ist in Teilen nicht exklusiv: Vier Staaten der Erde tragen Guinea im Ländernamen. Da wären Guinea, der südliche Nachbar von Guinea-Bissau, das den Namenszusatz benötigte, weil Guinea früher entkolonisiert wurde, der Name also schon vergeben war. Weiter südlich auf dem Kontinent findet sich Äquatorialguinea. Ganz woanders, im Pazifischen Ozean östlich von Indonesien und ­nördlich von Australien, ist Papua-Neuguinea zu suchen.

Reise-Check

Guinée

Anreise:
Die ehemalige portugiesische Kolonie Guinea-Bissau liegt an der Westküste Afrikas, gelegen zwischen den frankofonen Nachbarn Senegal und Guinea. Gerissen sind die Verbindungen mit Portugal nie, was auch die für Europäer beste Verbin­dung mit TAP (Air Portugal) erklärt. Der Flug ab Lissabon dauert rund 4,5 Stunden. flights.flytap.com
Ein mögliches Reisearrangement: mit einem Kreuzfahrtschiff mehrere Stationen entlang der afrikanischen Westküste zu besuchen.
Wohnen:
Die wohl feudalste Adresse im Land ist das 2018 eröffnete Fünfsternhotel Ceiba in Bissau. ceibabissau.com
Ebenfalls auf westlichem Standard, auch was die Sauberkeit betrifft, ­arbeitet das Bissau Royal Hotel unweit des Präsidentenpalastes. Optimaler Ausgangspunkt zur Er­kundung der Bijagós ist das Orango Parque Hotel. orangohotel.com
Reisezeit:
Im Herbst geht die Regensaison zu Ende, ab Oktober lässt es sich, wiewohl immer noch sehr warm, recht angenehm und mückenarm reisen.
Vorschriften:
Visum und die Impfung gegen Gelbfieber sind erforderlich.

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