Text: Daniel Riesen
Fotos: Jaguar
Vermutlich gibt es den Königsweg zur Antriebswende nicht. Diesen Übergang aus der Welt von Hubkolbenmotor und Flammfronten in den Kosmos von Elektronen und reibungsarm rotierenden Magnetfeldern gestalten Autohersteller ganz unterschiedlich. Die meisten haben sich für die spannungsvolle Koexistenz entschieden. Sie verdienen mit Verbrennerfahrzeugen jenes Geld, das sie in Entwicklung und Bau neuer Elektrowagen investieren. Jaguar, ein grosser Name in der Autowelt, hat es auch ein bisschen so probiert, mit dem I-Pace. Doch damit ist nun Schluss. Mit allem ist Schluss. Seit Herbst 2024 stehen die Fliessbänder still. Die Raubkatze spannt Muskeln und Sehnen für den grössten Sprung in ihrer Geschichte. 2026 ist ein Neuanfang, ausschliesslich elektrisch und sehr exklusiv, im Luxussegment oberhalb von 120 000 britischen Pfund. Das erste Konzeptauto heisst Type 00. Jaguar stellt alles auf null. So radikal hat noch selten eine Automarke den Neustart zelebriert. Smart teilweise oder auch Lotus, aber beide inszenierten den Bruch nie so lautstark.
2013 fühlte es sich bei Jaguar auch schon nach Neubeginn an. Fünf Jahre nach dem Besitzerwechsel von Ford, USA, zu Tata, Indien, ging die Raubkatze mit dem F-Type wieder zum Angriff über. Seit Jahrzehnten stand die Marke für Premiumlimousinen, nicht für Sport. Dabei hatte der E-Type einst das Image von Jaguar geprägt, ein Sportwagen, der zur Hälfte aus Motorhaube bestand, weil darin ein riesiger V12-Motor schlummerte. Das schönste Auto der Welt, soll ein gewisser Enzo Ferrari geschwärmt haben. Die Eleganz des E-Type schrieb der F-Type mit einer muskulösen Grundform weiter, mit dem forschen Anspruch: Es gibt nicht nur Porsche!
Zwar hat ausserhalb des United Kingdom der F-Type vermutlich nie einen Fahrdynamikvergleich mit einem 911er gewonnen, ein feines Auto war und ist er dennoch. Ende Mai 2024 wurden die letzten Exemplare von insgesamt 87 731 F-Types in Castle Bromwich gebaut. Uns wurde als Testwagen ein F-Type 5.0 V8 S/C Convertible 575 PS AWD Auto R75 überlassen. Also einmal mit allem inklusive einziehbarem Stoffdach und vor allem dem mittels Kompressor aufgeladenen Achtzylindermotor. Bei Ruhepuls teilt er sich der Umgebung mit lässigem Wummern mit. Nur der Startvorgang hat seine Tücken, möchte man morgens um sechs diskret raus aus dem Wohnquartier: Den Druck auf den Startknopf quittiert die Raubkatze mit einem Schrei, der Drehzahlmesser steht länger als gefühlt nötig bei 1500/min, die Nachbarn stehen aufrecht im Bett. Erst mit eingelegtem Gang blubbert der V8 schiffsdieselig träge bei 800/min, bereit zum Auslaufen.
Im heutigen Verkehrsgeschehen ist der F-Type ein kleiner Wagen. Faszinierend, ein Monster von Motor in einem so kompakten Roadster! Der V8 liefert auf Verlangen viel Leistung, die sich dank Allradantrieb auch noch gut auf den Boden bringen lässt. Keine vier Sekunden von null auf hundert sind Topliga, wenngleich im Zeitalter starker Stromer kein Alleinstellungsmerkmal mehr. Der Sound hingegen ist es. Abgesehen von den ersten Sekunden leidlich diskret, lassen sich Airbox- und Auspuffgeräusche fast nach Belieben modulieren. Natürlich mit dem Gasfuss, zusätzlich aber auch mit einer Taste in der Mittelkonsole. Eine aufgemalte Zielflagge gibt die Denkrichtung vor: Feuer frei dank Auspuffklappe im Dynamikmodus. Im Rennsport wird motorische Begleitmusik schliesslich hoch geschätzt, wer den V8 dreht und den Wagen dann wieder zusammenbremst, erntet engagiertes Brüllen und knuspriges Sprotzen.
Das Interieur ist fein gemacht, mit hochwertigen Materialien, alles solide eingebaut – beim Testwagenpreis des Topmodells von 161820 Franken auch ein Muss. Digital ist der Wagen erstaunlich modern, wenngleich mit leicht angestaubter Hardware. Jaguar hat den F-Type in seinen elf Jahren zwar modellgepflegt, aber nie runderneuert. Er ist selbst in der offenen Version alltagstauglich gefedert und gedämpft. Und das Chassis arbeitet spürbar mit, quer angefahrene Autobahnfugen quittiert er gar mit leichter Verwindung im Chassis.
Jaguar sieht das Achtzylinderfauchen übrigens als Kulturgut. Deshalb liess man einen F-Type im eigenen Soundlabor hochdrehen und die Gänge durchschalten und produzierte eine Reihe kurzer Soundtracks. Die sind nun in der British Library, der Nationalbibliothek also, für die Ewigkeit hinterlegt. Die Zukunft aber gehört den stromernden Raubkatzen. Die letzten Autos alter Schule sind, wie erwähnt, schon gebaut. Ende dieses Jahres soll das erste fertig sein und vorgestellt werden, 2026 ist der Marktstart zu erwarten. Angekündigt ist ein viertüriger Gran Turismo, gebaut auf einer neuen Elektroarchitektur (JEA), eine Plattform, die innerhalb des JLR-Konzerns Jaguar vorbehalten bleibt. Viel Reichweite und schnelles Laden werden versprochen, alles andere wäre auch nicht akzeptabel im anvisierten Segment. Zu den Fahrleistungen steht in den schriftlichen Unterlagen zwar nichts, Gerry McGovern, Chief Creative Officer von JLR, hat aber die runde Zahl von 1000 PS in den Raum geworfen. Wobei Markenchef Rawdon Glover im Interview sagte, dass dem angepeilten, wohlhabenden Publikum der Antrieb gar nicht so wichtig sei. Einzigartigkeit hingegen schätzt man in diesen Kreisen, und da passt das Wort von Jaguar-Gründer William Lyons perfekt, Autos von Jaguar sollten «a copy of nothing» darstellen. Ein Slogan, den die neue Kampagne durchzieht. Eine Kampagne, welche auf ein anderes Publikum abzielt, das jünger, noch wohlhabender als bisher und urbaner sein soll.
Jaguar zeigte den Type 00 nicht an einer Autoausstellung, man ging an die Miami Art Week. Sind die Farben des dort gezeigten Konzeptautos ernst gemeint, ist Racing Green ebenso Geschichte wie es der brüllende Jaguar, der Growler, definitv ist. Immerhin, die Raubkatze im Sprung (der Leaper) ist am Auto zu sehen, nicht aber als Teil des Markennamens. Dafür das neue Logo, ein Monogramm mit zwei gegenläufigen J. Die Neuerfindung der Marke hat Jaguar mit einem Aufmarsch schrill bekleideter Models diverser Hautfarben und Geschlechter begleitet. Eine Streetparade mit queerem Touch und viel Wohlfühlharmonie für die Neulancierung einer Traditionsmarke! Wenig erstaunlich war das Bohei auf Social Media und in den Kommentarspalten von Onlinemedien gross. Welch ein Gegensatz auch zum Stil, mit dem vor zehn Jahren noch für den F-Type geworben wurde: Ein Mann im Slimfit-Anzug spielt den smarten Agenten à la Bond und erklärt, was einen Bösewicht ausmache. Einen coolen Bösewicht natürlich.
Der neue alte Slogan «copy nothing» kam schnell in die Kritik: Der Type 00 gleiche in der Silhouette dem Rolls-Royce Spectre. Andere nahmen das Bild einer Blondine mit Vorschlaghammer aufs Korn. Das gab es schon in einer Apple-Kampagne fürs iPhone. Nicht kopieren ist gar nicht so einfach.
Warum hat sich die Jaguar-Leitung überhaupt entschieden, einen zugleich spektakulären wie risikobehafteten Sprung nach vorn zu wagen? Offensichtlich hat man in den letzten Jahren keinen klaren Weg gesehen. 2013 keimte durch den F-Type Hoffnung, mit dem schön gemachten SUV I-Pace war man 2018 vielversprechend früh vollelektrisch in der Spur. Seither jedoch blieb es bei kleineren Updates. Mit der Folge rückläufiger Verkäufe. Um 2010 setzte Jaguar in der Schweiz zwischen 500 und 900 Autos ab, 2019 folgte mit 2220 Fahrzeugen und dem E-Pace als Bestseller ein Rekordjahr. 2021 war das letzte Jahr mit über tausend Verkäufen, danach verschwand Jaguar im Bereich der Nischenmarken.
Letzte Neuwagen inklusive F-Type stehen noch bei den Jaguar-Händlern, der Betrieb geht weiter. Die Emil-Frey-Gruppe bleibt gemäss eigenen Aussagen für den Jaguar-Import zuständig. Änderungen in der Vertriebsstruktur seien indes zu erwarten. Melancholiker überlegen vielleicht, sich noch ein Schmuckstück von der Insel anzuschaffen. Falls man die Eleganz klassisch britischer Prägung mag: why not! Und wer dem zornigen Fauchen der Katze gerne lauscht, sollte sich den F-Type mit der V8-Topmotorisierung näher anschauen. Zumal neue oder nahezu neue Exemplare des Coupés mittlerweile für unter 100 000 Franken angeboten werden.
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