Zwei Länder, zwei Städte, zwei Entwicklungsstadien, aber eine Gemeinsamkeit. Sowohl in Bern als auch in Kopenhagen liegt die Planung des Veloverkehrs seit 2020 in den Händen von … Bernerinnen. Anna Bucher Lassen wirkt in der dänischen Hauptstadt, während Stephanie Stotz in der Bundesstadt tätig ist. Bevor wir uns mit ihren jeweiligen Arbeiten befassen, lohnt es sich, auf den 1. Januar 2023 zurückzublicken, als das Veloweggesetz in der Schweiz in Kraft trat. Die Kantone wurden beauftragt, bis Ende 2027 ein Netz von Velowegen auf ihren Strassen zu planen und es bis Ende 2042 umzusetzen. Im Vergleich zum «Veloprimus» Kopenhagen ein relativ spätes Vorhaben: In der dänischen Hauptstadt begann die Veloplanung nämlich schon in den Neunzigerjahren, um sie in den 2000er-Jahren mit der ersten richtigen Strategie und dem Ausbau der Infrastruktur zu etablieren.
«Die zweite Velostrategie 2011–2025, gegenwärtig immer noch in Kraft, verfolgt das Ziel, Kopenhagen zur besten Velostadt der Welt zu machen. Die Infrastruktur wurde mit dem Velonetz PLUS weiter ausgebaut und umfasst einen höheren Standard der Hauptverbindungen für das Velo, Freizeitwege, Überholspuren sowie Velo- und Fussgängerbrücken», erklärt die gebürtige Bernerin Anna Bucher Lassen, Veloroutenplanerin in der Abteilung Mobilität von Kopenhagen und seit 2007 in Dänemark wohnhaft.
Obwohl Dänemark um einige Längen weiter ist, gilt es, zu betonen, dass auch hierzulande zahlreiche Kantone an den Infrastrukturen arbeiteten, bevor das Gesetz in Kraft trat, wie Marina Kaempf, Kommunikationsverantwortliche beim Bundesamt für Strassen (Astra) weiss: «Die grosse Mehrheit hat ihr Velowegnetz bereits geplant. Sie fangen also nicht bei null an, müssen jedoch ihre Planung überprüfen und allenfalls anpassen.»
Auch die Stadt Bern hat nicht auf das Gesetz gewartet, um zu handeln. Ambitioniert hat sie sich den Slogan «Velohauptstadt» verpasst. Stephanie Stotz, Leiterin der Fachstelle für Fuss- und Veloverkehr der Stadt Bern, geht näher auf die Bedeutung dieser Parole ein: «Wir vergleichen und messen uns auch mit anderen Schweizer Städten. Unser Ziel besteht darin, die Spitze zu übernehmen, sprich, die velofreundlichste Stadt der Schweiz zu sein.»
Sie betont aber, dass es sich hierbei um ein zweitrangiges Ziel handelt: «Wir konzentrieren uns vor allem auf grundlegende Aspekte, nämlich wie man sich in der Stadt Bern mit dem Velo fortbewegen kann – dies muss bequem, sicher und für alle zugänglich sein, die das Velo benutzen möchten.» 2014 wurde hierzu das Projekt Velo-Offensive lanciert. Dieses soll den Modalsplit (Anteil eines Verkehrsträgers am gesamten Verkehr) des Veloverkehrs bis 2030 von elf auf zwanzig Prozent erhöhen. Ende 2023 war dieser Wert mit neunzehn Prozent schon fast erreicht. Aufgrund dieser Ergebnisse hält es die Stadt für realistisch, bis in sechs Jahren sogar dreissig Prozent zu erreichen. Zum Vergleich: In Kopenhagen lag der Modalsplit im Jahr 2022 bei 26 Prozent.
Obschon die Berner Planerin der Meinung ist, dass die Arbeiten gut voranschreiten, sowohl bei der Verkehrstrennung als auch bei der Umfahrung der Haltestellen des öffentlichen Verkehrs – sie führt die Beispiele Dübystrasse, Wander oder Kursaal an –, ist sie der Ansicht, dass es immer noch problematische oder gefährliche Strassenführungen gibt. Sie nennt die Knotenpunkte Thunplatz wie auch Burgernziel. Letzterer liegt kurz nach der Autobahnausfahrt Ostring, ist dicht von allen möglichen Fahrzeugen befahren und kann für Velos aufgrund der Tramschienen auf der Fahrbahn sehr problematisch sein.
Derzeit ist das Astra noch nicht in der Lage, die Kosten für ein Projekt dieser Grössenordnung zu beziffern. «Insbesondere auch darum, weil viele Projekte nicht nur die Infrastruktur für Velofahrende, sondern auch Massnahmen zur Verbesserung der gesamten Strasseninfrastruktur umfassen», führt Marina Kaempf aus. Aufseiten der Bundesstadt besteht die gleiche Problematik. «Wir haben die Kosten nicht explizit berechnet, da einige Projekte im Rahmen der Strassensanierung stattfinden, beispielsweise in Verbindung mit neuen Belägen. Wir teilen diese Vorkehrungen nicht auf die verschiedenen Verkehrsträger auf», erläutert Stephanie Stotz, nennt dann aber doch Zahlen für spezifische Massnahmen: «Je nach Standort sind die Kosten für die Erstellung von Veloparkings sehr unterschiedlich. Ein Abstellplatz am Strassenrand mit minimaler Ausstattung kostet zwischen hundert und tausend Franken. Jene in bewachten Velostationen wie etwa am Bahnhof können bis zu 10 000 Franken kosten. Diese Preise sind jedoch nicht nur in Bern üblich, sondern gelten für alle Schweizer Städte.» Auf kantonaler Ebene bleiben die Kosten für die Massnahmen ebenfalls vage. Zoé Dardel, Leiterin der Abteilung Velo bei der Generaldirektion Mobilität und Strassen des Kantons Waadt, nennt ein Instrument, das helfen könnte, die Kosten der Infrastrukturen besser einzuschätzen: «Der Bund wird in Kürze eine Planungshilfe für Velonetze herausgeben. Damit sollte es möglich sein, die Umsetzungsmodalitäten des Gesetzes klarer zu erkennen und im Rahmen der daraus folgenden Netz- und Projektstudien den Umfang – insbesondere den finanziellen –, der in den nächsten Jahren von allen zu unternehmen ist, einzuschätzen.»
Für die Umsetzung und Finanzierung sind die Kantone und Gemeinden zuständig. Der Bund kann jedoch in den Agglomerationen Beiträge für die Veloinfrastruktur über den Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds (NAF) ausrichten. Neun bis zwölf Prozent der jährlichen NAF-Investitionen dienen der Finanzierung von Agglomerationsprogrammen, der Rest fliesst in den Ausbau und Unterhalt der Strasseninfrastruktur. Derzeit beginnt die vierte Projektgeneration mit einem bewilligten Budget von 1,3 Milliarden Franken über vier Jahre. 37 Prozent dieses Betrags, sprich, eine halbe Milliarde Franken, sind für den Langsamverkehr bestimmt. Infolge zahlreicher Einsprachen konnte jedoch zwischen 2019 und 2021 nur etwa die Hälfte der budgetierten Projekte umgesetzt werden. So beliefen sich die tatsächlichen Ausgaben im Jahr 2021 auf 177 Millionen Franken, statt der budgetierten 393 Millionen.
2023 stellten neun Professoren der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) ihre Idee einer E-Bike-City vor. Das erklärte Ziel des Projekts ist es, die Stadt Zürich vor allem durch Einbahnstrassen für Velofahrerinnen und Velofahrer vorrangig und sicherer sowie für Autofahrende weniger attraktiv zu gestalten. Die Studie schätzt den aktuellen Anteil des Strassenraums, der Autos und Parkplätzen vorbehalten ist, auf achtzig Prozent. Sie kommt zum Schluss, dass 37 Prozent der Strassen in Velowege, Trottoirs und Grünflächen umgewandelt werden könnten. «Der geschätzte Anteil an Flächen, die von Autos und Parkplätzen beansprucht werden, überrascht nicht. Ähnliche Feststellungen lassen sich in den meisten Städten treffen. Bedenkt man, dass jede zweite Autofahrt kürzer als fünf Kilometer ist, lässt sich das gesamte Entwicklungspotenzial des Veloverkehrs und der Mikromobilität im Allgemeinen erahnen, um die Nutzung des nicht erweiterbaren öffentlichen Raums zu überdenken», kommentiert Zoé Dardel. Auch Stephanie Stotz findet den Gedanken interessant: «Mit dieser Idee setzt man sich radikal damit auseinander, wie eine Stadt in Zukunft aussehen könnte.» Mehr noch als die erwähnte Studie sieht Stephanie Stotz Kopenhagen ganz klar als eines der Beispiele, das es bei der Entwicklung des Veloverkehrs nachzuahmen und zu beobachten gilt: «Daran besteht kein Zweifel! Insbesondere, als die Velo-Offensive anlief, stellten wir eingehende Überlegungen mit anderen Städten an. Es gab Delegationen, die nach Kopenhagen, Amsterdam und in andere Orte reisten, um zu lernen und die Velokultur kennenzulernen. Das erlangte Wissen ist in unsere Planung und unsere Richtpläne eingeflossen, und wir passen es an die Infrastruktur in Bern an, aber auch an die Entwicklung dieser Velokultur.»
Die velofreundliche Aura Kopenhagens wie auch die ziemlich drastischen Vorschläge der ETH-Studie können bei Autofahrenden Misstrauen oder gar Feindseligkeit wecken. Die Planerinnen sind sich dessen bewusst. «Die kantonale Politik zielt nicht darauf ab, die Verkehrsmittel gegeneinander auszuspielen. Sie muss aber dazu beitragen, unsere Klimaziele zu erreichen, indem sie die Möglichkeit einer nachhaltigeren Mobilität bietet und gleichzeitig die Sicherheit und den Verkehrsfluss gewährleistet», sagt Zoé Dardel. Stephanie Stotz ihrerseits glaubt, dass erstmal Geduld gefragt sei: «Wir möchten den Menschen Zeit geben, damit sie sich an die neuen Umstände anpassen und sie akzeptieren können. Wir versuchen, Spannungen und Emotionen durch Dialog und Mitbestimmung zu glätten.»
Anna Bucher Lassen richtet ihr Schlusswort in Form eines Ratschlags an die Ämter, welche die Planung von Velowegen in Angriff nehmen: «Build it and they will come! (Baue es, und sie werden kommen!) Es geht darum, ehrgeizige und quantitative Ziele für den Veloverkehr zu formulieren und umzusetzen, unter Einbezug der Velolobby und der Bevölkerung. Verkehr ist mehr als nur Autoverkehr – Städte mit hoher Lebensqualität verfügen über eine gute Infrastruktur für Fussgängerinnen und Fussgänger, Velofahrende und öffentliche Verkehrsmittel.»
Der TCS hat sich stark für das Veloweggesetz engagiert. Dieses gestattet, die Bedürfnisse und spezifischen Aspekte des Veloverkehrs zu regeln. Der Club ist der Meinung, dass das Velo im Verkehrssystem eine wichtige Rolle zu spielen hat, nicht nur im Rahmen der Pendler- und Freizeitmobilität, sondern auch im Hinblick auf die Entwicklung der multimodalen Mobilität im ganzen Land.
Beim städtischen Umfeld erinnert der TCS an die Bedeutung der Hierarchie des Strassennetzes. Die strukturgebenden Achsen mit Transitfunktion dürfen nicht durch Massnahmen der Verkehrsberuhigung, Stadtgestaltung oder Geschwindigkeitsreduzierung abgewertet werden, wenn sie sich negativ auf den Verkehrsfluss auswirken. Eine Abwertung dieser für den Austausch zwischen den Zentren und der Peripherie lebenswichtigen Achsen würde im Gegenteil dazu beitragen, dass es an den Schnittstellen zwischen dem National-, dem Kantons- und dem Agglomerationsstrassennetz zu Behinderungen kommt.
Der TCS befürwortet eine generelle Trennung der Verkehrsflüsse. Denn die direktesten Wege sind für Velos nicht immer die sichersten. Es ist deshalb besser, wenn Velofahrende sichere Alternativrouten wählen, ohne notwendigerweise auf
den Hauptverkehrsachsen der Städte zu fahren. Diese dienen hauptsächlich dem öffentlichen Verkehr, den Autos sowie dem Güterverkehr.
Text: Jérôme Burgener
Fotos: Ursula Bach, Emanuel Freudiger, iStock, Vincent Jendly, Anne-Laure Lechat, Keystone.
Illustrationen Metron Bern AG
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