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02.11.2022

Gleichberechtigung bei der Sicherheit

Bei Crashtests von Autos sind Puppen mit männlichen Massen das Referenzmodell.
02. November 2022

Das bedeutet erhöhte Risiken für Personen, die anatomisch von diesen Dummys abweichen – also vor allem Frauen. Dank Forschern und einigen Herstellern soll dies nun geändert werden.

Obwohl sich die Sicherheit der Fahrzeuge in den letzten Jahren stark verbessert hat, sind bei einem Verkehrsunfall nicht alle Menschen gleich betroffen. Tatsächlich zeigt eine Studie der Uni­versität Virginia, dass Personen weiblichen Geschlechts ein um 73 Prozent grösseres Risiko haben, bei ­einem Unfall verletzt zu werden, als Männer und ein um siebzehn Prozent grösseres Risiko, dabei getötet zu werden. Diese beunruhigenden Zahlen bestätigen die Resultate von anderen, früher realisierten Studien.

Die Gründe sind ganz einfach biologi­scher Art. Da Frauen im Allgemeinen kleiner sind als Männer, sind sie gezwungen, näher am Lenkrad zu sitzen. Wegen ihres Körperbaus sind sie zum Beispiel auch einem grösseren Risiko ausgesetzt, ein Schleudertrauma zu erleiden. Zudem neigen Frauen eher zu Verletzungen am Thorax, weil ihr Skelett weniger widerstandsfähig ist. Zu diesen morphologischen Unterschieden kommt die Tatsache hinzu, dass die Konzeption der Autos selbst, mit einigen Ausnahmen, nicht für Frauen ausgelegt ist. All diese Elemente führen zu einer Feststellung: Um hinter dem Steuer sicher zu sein, ist es besser, ein Mann mittlerer Grösse, oder anders gesagt, einem «Hybrid III 50 Perzentil» ähnlich zu sein. Dieser ist der heute am meisten eingesetzte Dummy bei Crashtests. Er ist 1,77 Meter gross und wiegt 78 Kilogramm.

Eine Frau an der Spitze

crashtest-dummies
Astrid Linder ist Forschungs­direktorin am VTI in Schweden.

Astrid Linder ist Forscherin und Professorin am Swedish National Road and Transport Research Institute (VTI). Schon 2018 hatte sie an einer TED-Konferenz zu diesem Problem die Alarm­glocke geläutet, was ziemlich grosses Aufsehen erregte. «Die weibliche Bevölkerung wird bei der Untersuchung der Passagiersicherheit nicht korrekt repräsentiert, weder in den vorgeschriebenen Tests noch bei den Konsumententests», bedauert die schwedische Forscherin.

Um eine kleine Person bei einem Crash zu repräsentieren, wird der «Hybrid III 5 Perzentil» eingesetzt (fünf Prozent der Bevölkerung ist kleiner, 95 Prozent grösser). Dieses Modell misst jedoch nur 1,51 Meter und wiegt weniger als fünfzig Kilo. «Es existieren heute also keine Crashtest-Puppen von natürlicher Grösse, welche den weiblichen Teil der Bevölkerung repräsentiert», fasst Astrid Linder zusammen.

crashtest dummies
Bei Autounfällen sind Frauen einem grösseren Verletzungs­risiko ausgesetzt.

Aber dank einiger Hersteller, die auf eine ­grössere Sicherheit für alle hinarbeiten, unab­hängig von Geschlecht und Grösse, entwickeln sich die Dinge weiter. Das ist der Fall bei Volvo Cars, wo man die Puppenfamilie durch «EvaRID» ­vergrössert hat, einem offensichtlich weiblichen Dummy mittlerer Grösse, der für Heckaufpralltests bestimmt ist. Dieses Modell wurde im Rahmen des Projekts «ADSEAT» konzipiert, welches von Astrid Linder koordiniert wird. Ihre Grösse und ihr Gewicht (1,66 Meter, 62 Kilo) sind tatsächlich repräsentativ für eine durchschnittliche Frau. Ganz im Gegensatz zu ihrer Cousine ­«Hy­brid III 5 Perzentil», welche eine kleine Passagierin bei Crashtests mit Frontalaufprall vertritt. Der Hersteller Volvo will die anatomischen Eigenheiten der Frauen bei seinen Sicherheitsforschungen unbedingt miteinbeziehen, wie Lotta Jakobson, Unfallverhütungsfachfrau bei Volvo Cars erklärt: «Die aktuellen Volvo-Modelle verfügen über zahlreiche Sicherheitssysteme, die speziell zur Verbesserung der Sicherheit von Fahrerinnen entwickelt wurden, wie das Schutzsystem gegen Schleudertrauma WHIPS. Dank dieser Neuerung hat Volvo das Verletzungsrisiko durch den Schutz von Kopf und Nacken um die Hälfte verringert.»

Die Forscherin Astrid Linder hingegen hat im Rahmen des Projekts «VIRTUAL» eine Puppe mit der natürlichen Grösse einer mittelgrossen Frau entwickelt. «SET 50F» (Seat Evaluation Tool) ­genannt, erlaubt, den Schutz von Fahrern mit demjenigen von Fahrerinnen zu vergleichen und die Leistungen von Fahrzeugsitzen beim leichten Heckaufprall zu untersuchen. «SET 50F» wird mit ihrem männlichen Äquivalent, dem ebenfalls ­entwickelten «SET 50M» eingesetzt. So wird es zum ersten Mal möglich sein, die für Männerund Frauen vorgesehenen Schutzwirkungen bei Crashtests zu vergleichen.

Text: Pascale Stehlin
Fotos: ldd

Gender-Data-Gap überwinden
Mit der Initiative E. V. A. (Equal Vehicles for All) hat Volvo Cars seine in mehr als fünfzig Jahren Unfallforschung erworbenen Kenntnisse sowie die Analysen von mehr als 40 000 Fahrzeugen und 70 000 Passagierinnen und Passagieren zur Verfügung gestellt. Weil die Sicherheit über alles gehe, hat Volvo Cars seine Resultate öffentlich ­gemacht und hofft so, den Gender-Data-Gap (fehlende Daten über Frauen) zu überwinden.

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