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22.05.2024

Tücken im Radsport und im Strassenverkehr

Stürze vom Velo gehören im Radsport zum Alltag. Im Alltag zum Glück nicht, doch das Risiko fährt auch hier mit. Interview mit Spitzenfahrerin Élise Chabbey.
22. Mai 2024

Radrennfahrerin Élise Chabbey geht mit den Risiken gelassen um. Übung macht die Meisterin im Sport. Und mit guter Sichtbarkeit mindert Chabbey die Gefahren im Verkehr.

Die dritte Tour de France Femmes findet vom 12. bis 18. August statt, gleich im Anschluss an die Olympischen Spiele von Paris. Am 9. Juni startet die Tour de Suisse (TdS) der Männer in Vaduz. Sie endet in Villars-sur-Ollon, wo am 15. Juni die TdS der Frauen startet. Mit dabei die Genferin Élise Chabbey, falls nicht etwas dazwischenkommt. Das aber kann im Radrennsport passieren. Das Profiteam, in dem die Fahrer/innen angestellt sind, schickt andere Teammitglieder an ein Rennen, ein Virus spielt den Spielverderber oder ein Sturz knickt die schönsten Hoffnungen. In der Hektik des Rennens gehen immer wieder Rennsportler zu Boden. So brach sich Marlen Reusser, Schweizer Topfahrerin und vielleicht weltbeste Zeitfahrerin, bei der Flandernrundfahrt den Kiefer. Nur sehr selten kommt es zu Stürzen mit dramatischen Folgen wie dem tödlichen Unfall von Gino Mäder an der letztjährigen Tour de Suisse. Gebrochene Handgelenke oder Schlüsselbeine und schmerzhafte Schürfungen hingegen sind in diesem Metier beinahe Routine.
Wie Radprofi Élise Chabbey die Risiken ihres Sports einschätzt und welche Ziele sie im äusserst geschäftigen Jahr 2024 nach der TdS anpeilt, sagt sie im Gespräch mit dem Touring-Magazin.


Tour de Suisse
Viel Tempo: Fahrerinnen erreichen in der Ebene nicht selten eine Geschwindigkeit von 50 km/h und bergab von 80 km/h. Die Stürze ereignen sich jedoch nicht zwingend bei hohen Geschwindigkeiten. Ursache sind oft Berührungen im kompakten Feld, unerwartete Hindernisse oder schlechte Strassenbeläge.

Élise, Sie betreiben einen gefährlichen Sport.

Das stimmt leider. Mehrere Risikofaktoren kommen zusammen. Oft fährt man in sehr grossen Gruppen auf engen, zuweilen auch schlechten Strassen. Das erfordert dauernde Konzentration, man fährt Rad an Rad, Lenker an Lenker. Sobald ein Rennen in die entscheidende Phase kommt, gilt es, sich vorne im Feld zu platzieren. Doch nach vorne wollen alle … Es ist hektisch, es wird viel geschrien!

Das alles geschieht in hohem Tempo.
Ja, mit bis zu 50 km/h in der Ebene, mit über 80 in den Abfahrten. Doch das ist nicht alles. Weil wir im Feld so eng beieinander fahren, haben wir so gut wie keine Sicht auf die Strasse vor uns. Schlaglöcher oder Hindernisse sieht man erst im letzten Moment und muss dann ganz schnell reagieren.

Tour de Suisse
Idyllische Stimmung. Velorennen sind oft auch beste Tourismuswerbung.

«Drei oder vier Stürze pro Jahr kommen vor. Angenehm ist es nie.»

So eng im Pulk zu fahren, mussten Sie als relative Späteinsteigerin wohl auch erst lernen?
Mir ist das eher leichtgefallen. Unter anderem deshalb, weil ich aus dem Kanusport eine gute Umgebungswahrnehmung mitgebracht habe.

Wie oft stürzt eine Profi-Radrennfahrerin?
Drei-, viermal pro Jahr geht man schon zu Boden. Angenehm ist es nie, aber zum Glück bin ich von schweren Stürzen bisher verschont geblieben. Letztes Jahr an der Vuelta a España habe ich mir zum ersten Mal etwas gebrochen. Nach einem Crash im Feld habe ging das Kahnbein in die Brüche.

Stürze im Training?
Nein, zum Glück noch nie!

Anders als im Rennen absolvieren Sie das Training im öffentlichen Strassenverkehr. Fühlen Sie sich dabei sicher?
Eher ja, das Gefühl ist ganz gut, auch weil sich die meisten Automobilisten respektvoll verhalten. Allerdings: Ich fahre meist auf Nebenstrassen und zu Zeiten mit wenig Verkehr. Auch achte ich darauf, stets in gut sichtbarer Kleidung und mit Rücklicht zu trainieren.

Und Sie sind fahrtechnisch geschickter als die Hobbyfahrer.
Das mag sein, muss aber kein Problem sein. Alle sollte entsprechend ihren Fähigkeiten fahren. Bewusst das Kurvenfahren und Starkbremsungen üben ist aber bestimmt eine gute Idee. Rennradfahrer müssen zudem ohne Schwenker zum Trinkbidon greifen können.

Tour de Suisse
Angriff! Elise Chabbey enteilt in einem Anstieg dem Feld.

Für Schweizer Rennfahrer wie Fans ist 2024 dicht gepackt mit Höhepunkten. Tour de Suisse und Tour de France mit Ihnen und Marlen Reusser, die Olympischen Spiele und dann noch die Strassen-WM im eigenen Land.
Das sind viele potenzielle Höhepunkte. Da kann man sicher nicht alles gleich hoch priorisieren. Doch Velorennen sind Teamsport, da fährt man nicht nur für sich und spielt unterschiedliche Rollen im Team.

Élise Chabbey ist nicht einfach ihr eigener Chef?
Die meisten Rennen fahren wir im Profiteam. Je nach Art des Rennens, den Fähigkeiten und des Formstands ist mal die eine, mal die andere die Leaderin im Aufgebot. Es wäre schön, wenn ich als Einheimische in der Tour de Suisse und Tour de Romandie eine Leaderrolle in meinem Team Canyon/Sram spielen könnte.
Interessant ist die Situation in Rennen im Nationalteam, bei Meisterschaften und Olympia. Hier haben wir mit Marlen Reusser und mir zwei Fahrerinnen mit Siegchancen, aber unterschiedlichen Stärken. Das eröffnet taktische Möglichkeiten, wir können uns je nach Lage helfen.

Schweizer Fans dürfen sich also auf das olympische Rennen freuen?
Unbedingt. Für mich hat die Weltmeisterschaft im eigenen Land allerdings einen ähnlich hohen Stellenwert.

Elise Chabbey
Zwei Medizinerinnen auf dem Podest. Élise Chabbey (r.) geniesst ihr Trikot als beste Kletterin bei der Tour de Suisse 2023 zusammen mit ihrer Landsfrau und Gesamtsiegerin Marlen Reusser, die wie sie Medizin studiert hat.

Zur Person

Elise Chabbey ist seit 2018 Radprofi, seit 2020 im Team Canyon/Sram. Zuvor war sie Elitekanutin, Berg- und Langstreckenläuferin. Die Genferin hat ein abgeschlossenes Arztstudium. 2021 gewann sie eine Etappe der Tour de Suisse, 2022 wurde sie Weltmeisterin in der Strassen-Mixedstaffel. In ihrem Profiteam spielt die 31-Jährige oft die Rolle der Edelhelferin und Siegvorbereiterin für Teamkolleginnen wie Katarzyna Niewiadoma.

Text: Daniel Riesen
Fotos: Sam Buchli, TCS

Der TCS im Tour-Tross

Vieles lässt sich im Getümmel des Radrennsports kaum vermeiden. Wo möglich, tun die Organisatoren viel, um die Gefahren zu minimieren. Dazu gehört die Sicherheitstruppe auf ihren Motorrädern, die Zufahrten absichern und den Fahrer/-innen an heiklen Ecken den rechten Weg weisen. Dazu gehören aber auch Abschrankungen wie die hundert Sturzmatten, die der TCS im Rahmen einer Sicherheitspartnerschaft der Tour de Suisse (und im September 2024 auch der Strassen-Rad-WM in Zürich) zur Verfügung stellt. Zudem ist der TCS in der Wagenkolonne, die den Rennfahrern vorauseilt, mit einem Fahrzeug der TCS Patrouille dabei.

Tour de Suisse
Der TCS sorgt mit Hilfe von Schutzmatten für die Sicherheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
 
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