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30.11.2023

Die Königin der Landstrasse

Lastwagenchauffeure werden verzweifelt in ganz Europa gesucht. Wie erfüllend der Job sein kann, beweist Manuela Schenk.
30. November 2023

Die Bernerin hat eine gute Stelle im Gesundheitswesen aufgegeben und fährt jetzt Sattelschlepper. An ihrer Arbeit begeistern sie die Abwechslung, die Freiheit und die Sinnhaftigkeit.

Manuela Schenk
Eine Frau und ihr Truck: ein 16,5 Meter langer und vier Meter hoher Sattelschlepper
von Scania mit 450 PS.

Manuela Schenk hebt den 16,5 Meter langen ­Sattelschlepper erst etwas an, bevor sie rückwärts den steilen Hang zur Rampe des Obst- und Gemüsebauernverbandes hochfährt. Rasch lädt sie die frische Ware ein, verabschiedet sich freundlich und steigt wieder in die Kabine ihres Scania R450. Sie ist Richtung Basel unterwegs, als ihr der Disponent den Plan für den nächsten Tag durchgibt. In der Stadt am Rheinknie wird sie bis in den Abend Salat, Krautstiele, Mangos und mehr in den Lagern verschiedener Detailhändler abliefern. «Mir gefällt an meinem Job, dass ich etwas für die Gesellschaft tue, dafür sorge, dass die Regale immer voll sind», sagt sie. Als ein Mitarbeiter sie an der letzten Adresse
mit den Worten «Die Fahrerinnen der Firma Krummen haben es im Griff, sind immer pünktlich» begrüsst, freut sie sich. Trotz Stau war es ihr gelungen, zur geplanten Zeit vorzufahren. «Pünkt­lichkeit ist enorm wichtig, denn wir Chauffeurinnen und Chauffeure sind das Aushängeschild unserer Firmen», sagt Manuela Schenk.
Leute wie die 31-jährige Bernerin sind gesucht und rar. «In der Schweiz würden pro Jahr rund 2000 Stellen unbesetzt bleiben, wenn ­Speditionen und Logistikunternehmen nicht Fahrer aus dem Ausland rekrutieren würden», sagt David Piras, Generalsekretär des Berufs­verbands Les Routiers Suisses. Dazu komme, dass das Durchschnittsalter der in der Schweiz tätigen Chauffeure bei über fünfzig Jahren liegt. Die starken Jahrgänge kommen also bald ins Pen­sionsalter. Laut Weltdachverband der Strassentransportwirtschaft (IRU) spitzt sich der Fahrermangel europaweit zu. In Österreich etwa werden zwischen 8000 und 10 000 mehr Chauffeurinnen und Chauffeure ­gesucht, als der Markt hergibt, in Deutschland sind es bis zu 100 000 LKW-Fahrerinnen und -fahrer. «Auch in Polen und in anderen Ländern im Osten fehlen Kräfte, sodass wir den Mangel hierzulande nicht ewig mit Leuten aus Europa ­abdecken können», sagt David Piras. Und für Drittstaatsangehörige sind Aufenthaltsbewilligungen schwer zu bekommen.

Lieber Truck statt Spital

Manuela Schenk
Ohne Flexibilität geht’s nicht: Die Lastwagen­fahrerin erfährt oft erst am Nachmittag, was der nächste Tag bringt.

Manuela Schenk gab sogar einen besser bezahlten Job als Radiologie­fachfrau in einem Spital auf, um hinter dem Steuer eines Vierzigtonners zu sitzen. «Mein Vater ist Chauffeur und nahm mich als Kind oft mit. Im Lastwagen zu übernachten, war das Grösste für mich», erzählt sie, während sie einem Trucker mit der Lichthupe anzeigt, dass er vor ihr einscheren kann. Der bedankt sich, in dem er kurz rechts und links blinkt. Bei der freiwilligen Feuerwehr in Neuenegg, wo sie sich engagiert, wurde sie 2020 gefragt, ob sie das Tanklöschfahrzeug fahren wolle. Auf diese Weise konnte sie den Führerausweis C machen. 2021 begann sie, LKW zu fahren und im Spital Teilzeit zu arbeiten. Seit Dezember 2022 ist sie für das Transport- und Logistikunternehmen Krummen in Kerzers unterwegs, das 350 Chauffeure und zehn Fahrerinnen beschäftigt. «Ich wurde dort von Chefs und Mitarbeitenden sehr unterstützt, als ich auf den Sattelschlepper umgestiegen bin. Überhaupt ist das Unternehmen sehr sozial», sagt Schenk. Die Fahrzeuge seien neu und die Löhne ordentlich, auch achte man auf die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit. Manche Leute würden noch überrascht schauen, wenn sie aus dem Führerhaus steige, aber unter den Fahrern sei sie gleich akzeptiert worden. «Wo es mir an Kraft fehlt, muss ich mehr den Kopf gebrauchen. Ausserdem versuche ich erst mal selbst, die Dinge zu lösen», sagt sie. Aber Hilfe bekomme man immer. Das verwundert nicht, denn die kleine Frau kann gut mit Leuten.

Nach Angaben des Schweizerischen Nutzfahrverbands Astag schlossen 221 Strassentransportfachmänner und -frauen 2022 die Lehre ab. Das sind nicht einmal fünf Prozent der etwa 5000 Chauffeurinnen und Chauffeure, die pro Jahr in der Schweiz in den Ruhestand gehen oder den Job wechseln. Deshalb fördert die Astag Programme für Quereinsteiger stark. Und Firmen, die Stellen besetzen wollen, müssen sich anstrengen. So spricht man bei Planzer, einer der ganz grossen Namen in der Schweiz, gezielt Leute aus anderen Branchen nicht nur über Social Media an. «Wir sind auch am Trucker- und Country­festival in Interlaken mit einem Stand präsent, wo Interessierte bei Snacks und Bier mehr über den Job des Chauffeurs erfahren», sagt Mediensprecher Jan Pfenninger. «Und wir gehen mit ­unserem Fahrschulsimulator an Berufsmessen, wo die Youngsters mit VR-Brille erleben können, wie es ist, einen LKW zu fahren.» Da man schon den ganz Jungen die interessante Aufgabe nahebringen will, ist das Unternehmen natürlich an den Truck-Days im Verkehrshaus vertreten.

Starker Zusammenhalt

Manuela Schenk
Unter den Truck muss Manuela Schenk um die Bremsschläuche des Auflegers an der Zugmaschine ab- und anzuhängen.

Als Manuela Schenk am Abend an den von Krummen gemieteten Parkplätzen in Pratteln ihren Auflieger abstellen und ein Containerchassis ansatteln will, ist alles belegt. Ein anderer Trucker, der bereits im Campingstuhl vor seinem Laster entspannt, setzt sich kurz entschlossen wieder ins Führerhaus, holt für sie das Containerchassis und macht so einen Parkplatz frei, damit sie ­absatteln und wieder ansatteln kann. Danach parkiert sie ihren Sattelschlepper neben seinem. Ein weiterer Freund kommt. Die drei stehen ­zusammen, rauchen, lachen viel und bestellen Pizza. «In Spitzenzeiten übernachte ich die ganze Woche im Sattelschlepper», sagt Schenk. Heute kann sie die 24 Stunden geöffnete Fahrerdusche und -toilette der Firma nutzen, an der die ge­mieteten Parkplätze liegen. «Ansonsten habe ich immer einen Kanister mit Wasser für die Katzenwäsche an Bord», sagt sie. Tagsüber lege sie Pinkelpausen so, dass sie WC von Kunden nutzen kann. Und manchmal müsse man halt in die ­Büsche. «Heikel darf man in dem Job nicht sein», meint sie und lacht.

Text: Juliane Lutz
Fotos: Pia Neuenschwander

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